"Es ist immer noch der Mensch, der die genaue Arbeit macht" | Netzwoche

2021-11-18 12:00:19 By : Mr. Harry Shen

Tullio Sulser ist Direktor der Urologischen Klinik am UniversitätsSpital Zürich. Die Redaktion fragte ihn nach dem Operationsroboter Da Vinci und Augmented und Virtual Reality.

Tullio Sulser: Es geht vor allem ums Überleben im hart umkämpften Gesundheitsmarkt: Insbesondere die Konkurrenz durch private Krankenhäuser ist groß. Patienten können sich heute elektronisch informieren und diese neuen Technologien bei Bedarf selbst nutzen. Darüber hinaus hat die minimal-invasive Operationstechnik natürlich auch medizinische Vorteile.

Wie erwähnt wählen die Patienten jene Krankenhäuser und Kliniken, die über die modernsten Operationstechniken verfügen und diese anbieten – sei es Laserchirurgie, HIFU oder Roboterchirurgie. Und tatsächlich können gerade im Bereich der Urologie zahlreiche Eingriffe mit laparoskopischer Roboterassistenz durchgeführt werden. Die Lernkurve für den angehenden Chirurgen/Urologen ist kürzer als bei der konventionellen Laparoskopie.

Solange ein Monopol besteht, bleiben die Preise relativ hoch, was für Verbraucher immer problematisch ist. Sobald das Patent ausläuft und andere Unternehmen auf dem Markt konkurrieren, werden die Preise fallen.

Zunächst einmal zum besseren Verständnis: Der Begriff Roboter impliziert fälschlicherweise, dass eine Maschine oder ein Computerprogramm, ähnlich wie in der Automobilindustrie, die Bedienung ohne menschliches Zutun ausführt. Da Vinci ist jedoch ein Master-Slave-System. Der Chirurg bedient die Roboterarme mit den feinen Instrumenten, die über Ports in den Körper eingeführt werden, telemetrisch von einer Steuerkonsole aus über Joysticks. Seine Bewegungen steuert er mit einer zuvor eingebrachten 3D-Kamera. Es ist also immer noch die Person, die die genaue Arbeit macht. Die Maschine dient lediglich der Verbesserung der Präzision dank 3D-Ansicht (Binokularkamera), Tremorfilter, Verkleinerung und bis zu 10-facher Vergrößerung.

Dank 3-D-Ansicht, Tremorfilter, 3- bis 10-facher Vergrößerung, optimaler Beleuchtung und Verkleinerung der telemetrisch betriebenen Arbeitsinstrumente ist ein sehr präzises und gewebeschonendes Arbeiten möglich. Patienten werden minimal-invasiv operiert. Durch Überdruck und gute Sichtverhältnisse entstehen postoperativ weniger Schmerzen und intraoperativ weniger Blutverlust, was Blutersatzstoffe nahezu überflüssig macht. Die Erholung und Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess erfolgt schneller, was wirtschaftlich vorteilhaft ist und in gewisser Weise die höheren Kosten rechtfertigt.

Da sich Patienten mittlerweile über das Internet informieren können, lassen sie sich die oben genannten Vorteile dieser Technologie nicht entgehen. Der kosmetische Faktor (chirurgische Schnitte) spielt hier weniger eine Rolle als weniger Schmerzen und schnellere Erholung vom Eingriff.

Attraktiv für den Operateur ist die Arbeit, die bequem auf einem an seine Bedürfnisse anpassbaren Stuhl sitzen kann, auch bei anatomisch beengten Platzverhältnissen optimale Sicht hat und auch bei mehrstündigen Eingriffen sehr präzise operieren kann. Herkömmliche laparoskopische Arbeiten hingegen sind vor allem nach mehreren Stunden mitunter unangenehm und sehr anstrengend.

Die Maschinen können weiter miniaturisiert und so entwickelt werden, dass die Anzahl der Zugänge reduziert werden kann (Single-Port-Chirurgie). Ich halte es für nicht möglich, dass ein Roboter eines Tages den Chirurgen ersetzen wird, da der Körper jedes einzelnen Menschen individuelle anatomische Unterschiede aufweist und sich ein Computerprogramm nicht schnell genug an plötzlich auftretende Situationen anpassen kann: Es ist weder kreativ noch vorausplanend , Eigenschaften, die nur den guten Chirurgen auszeichnen.

Das ist richtig, zumal sich zumindest in der Urologie und Gynäkologie die Organe kaum bewegen, was beispielsweise in der Herzchirurgie ein Problem darstellt, auch wenn hier bereits innovative Lösungen existieren. Am UniversitätsSpital Zürich arbeiten heute auch die Thoraxchirurgen, die ORL-Chirurgen und die Kinderurologen mit dem Da Vinci-Roboter. Auch die Herzchirurgen planen, in naher Zukunft mit dem Roboter zu arbeiten.

Wenn Sie das Bedienen und Trainieren mit und am Roboter (mit 3-D-Ansicht) als „virtuelle Realität“ bezeichnen wollen, dann arbeite ich eigentlich täglich damit. Aber man müsste dies richtigerweise "Augmented Reality" nennen. Virtual Reality hat sicherlich großes Potenzial in der Ausbildung zukünftiger (Roboter-)Chirurgen.

Dabei spielt sicherlich auch die Kostenfrage solcher Ausbildungssysteme eine Rolle. Sobald Konkurrenzprodukte auf den Markt kommen, wird sich dies ändern. Darüber hinaus sind unsere Grundschüler seit 2017 mit der IT in Berührung gekommen.

Diese Technologie wird sich in naher Zukunft zumindest in dafür eingerichteten Zentralkrankenhäusern, insbesondere in Universitätskliniken mit Ausbildungsauftrag, etablieren, sobald die Systeme bezahlbar werden. Hier müssen natürlich auch unsere Gesundheitspolitiker in die Verantwortung genommen werden, damit die Innovation nicht einem Budgetoptimierungsprozess oder Spardruck zum Opfer fällt.

Das kann ich mir sehr gut vorstellen, zumal solche Ansätze (Smart Glasses) bereits existieren und in Kombination mit „Augmented Reality“ auch eine sinnvolle Ergänzung sein können.